Eine verkehrte Begegnung?

Das Zusammentreffen von Kirke und Medea bei Apollonios Rhodios und Madeline Miller

Autor/innen

  • Leonie Zinth

Abstract

Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Begegnung zwischen zwei Hexen, Kirke und Medea, in Apollonios Rhodios’ Epos Argonautika und Madeline Millers Roman Circe (2018). Die Entstehung der Werke liegt mehrere tausend Jahre auseinander, was, gepaart mit Millers feministischem Ansatz, den Eindruck einer Kluft entstehen lässt. Sind die beiden Werke und damit die Begegnungen der Frauen durch die lange Zeit und die weitreichenden gesellschaftlichen Veränderungen unvereinbar geworden? Musste Miller eine völlig neue Circe, eine neue Medea, einen neuen Jason erschaffen, um in unserer weit emanzipierteren Zeit überhaupt noch von diesen Charakteren schreiben zu können? Überraschenderweise werden die beiden Texte durch zahlreiche Gemeinsamkeiten verbunden, wobei die Thematik des Re-Writings zentral ist. Über mehrere tausend Jahre hinweg greifen Autor*innen immer noch auf ähnliche Mechanismen zurück. Aber Miller schafft nicht einfach eine neue Version, die eine Frau ins Zentrum rückt, sondern verflicht eindrucksvoll eine feministische Neuinterpretation mit der Kritik an bis heute bestehenden Konflikten zwischen den Geschlechtern. Medea und Kirke erhalten also einen neuen Wirkungsraum, aber die Essenz der Darstellung bleibt dieselbe. Legitimiert durch die Verse antiker Autoren führt Miller ihr Lesepublikum gleichzeitig durch mehrere Epochen und bearbeitet Apollonios’ Version; sie verkehrt jedoch die Begegnung der Hexen nicht.

Veröffentlicht

08.03.2025